Von Wäldern und Worten
Es gibt unendlich viele Geschichten auf der Welt. Wie ein großer Wald aus Worten. Aber es gibt diese eine Geschichte, die nur dieser eine Mensch erzählen kann.
Und hätte jeder die Gelegenheit, diese eine Geschichte zu erzählen, hätten wir 8 Milliarden unterschiedliche Geschichten. 8 Milliarden Perspektiven.
Jede Geschichte bringt uns einen Schritt voran, macht uns stärker, denn wir verstehen durch die Augen eines jeden Menschen die Welt ein Stück besser; verstehen, was uns verbindet und können Unterschiede wertschätzen. Wie bei einem gesunden Wald wimmelt es und befruchtet sich alles gegenseitig, auch wenn manchmal Leben zu ende geht oder verdrängt wird. Alles bleibt im Gleichgewicht. Wir lernen und leben von all dem.
Es gibt aber auch Geschichten, die sind wie Monokulturen im Wald. Viele Menschen fanden, dass sie gut funktioniert haben. Und da sich mit solchen Geschichten gutes Geld verdienen lässt, werden sie reproduziert. Immer und immer wieder. Natürlich, die „Heldenreise“ steckt in den meisten Geschichten und so gibt es immer ähnliche Strukturen. Aber das ist nicht gemeint.
Gut funktionierende Geschichten werden mit kleinen Änderungen, aber im Großen und Ganzen gleich, erzählt. Immer und immer wieder. Sie machen ja schließlich auch Spaß.
Aber verlieren wir über diese Omipräsenz nicht die Fähigkeit und den Mut, unsere eigenen Geschichten zu erzählen? Graben diese ewig gleichen Geschichten uns nicht das Wasser ab?
Und was passiert dann? In einer Monokultur im Wald braucht es nur einen Funken oder einen Borkenkäfer und es bedeutet das Ende für alle.
Bei den Geschichten braucht es eine Erzählung, die alle anderen ausgrenzt, und immer wieder erzählt wird, bis zu viele Menschen es glauben: zum Beispiel die vom "bösen Ausländer“, der uns alle kaputt machen will. Oder vom unermesslichen Reichtum, den wir alle erlangen sollen, aber in Wahrheit niemand ereichen kann.
Eine Geschichte kann die Welt verändern. Im Guten wie im Schlechten.
Selbst eine Geschichte erzählen zu können, kann befreiend sein. Die Geschichte eines völlig Unbekannten zu hören, kann erhellend sein.
Warum ich das alles hier erzähle?
Weil sich in diesem Jahr abzeichnet, dass meine Arbeit sich mehr in Richtung „Erzählen können“ verlagert. Schon immer war es mir wichtig, den Menschen, mit denen ich arbeite, eine Stimme zu geben; ihnen zu zeigen, wie sie ihre Geschichten auf die Bühne bringen.
Nun erweitert sich das Spektrum: es geht um das Erzählen mit allen Mitteln.
Es geht auch um das Zuhören, dass unsere Gesellschaft zunehmend zu verlieren scheint.
Eine Erzählung ist nichts ohne Zuhörerinnen und Zuhörer.
Dieses Jahr beginne ich, einen neuen Wald zu pflanzen. Einen aus ganz vielen verschiedenen Leben. Es wird dauern, bis sich ein Ergebnis zeigt. Anders als bei den Bühnenstücken, die ich auch noch machen werde, werden sie nicht so leicht abbildbar sein.
Macht nichts. Auch Samen sind klein und werden erst unter der Erde aktiv. Bis wir sie sehen können, ist schon ganz viel Wichtiges passiert. Darauf baue ich.
Also, ein buntes, beseeltes neue Jahr Euch allen.
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