Donnerstag, 21. Februar 2019

WAS KANN THEATER EIGENTLICH FÜR ERWACHSENE TUN?


Foto: Anna Schwartz
"Theaterpädagogin? Ach, das ist ja so wichtig für Kinder und Jugendliche. Die müssen sich ja ausprobieren und entwickeln können. Ach? Du arbeitest auch mit Erwachsenen - sicher mit Senioren, oder? Ja, das ist ja so wichtig, dass die geistig noch aktiv bleiben. Ach? Wie Du arbeitest mit "ganz normalen" Erwachsenen? Äh... ja, äh... irgendein Hobby braucht man ja."
Solche Dialoge kennen sicher viele Kolleg*innen.
Ich frage mich immer wieder, warum Erwachsene eigentlich nicht vom Theater spielen, vom Theater machen, profitieren sollten.
Dabei erlebe ich immer wieder, wie erfüllend und bereichernd das Theater sein kann, ganz gleich, mit wem ich gerade arbeite. 
Mit meinem Erwachsenenkurs "Drama Hilinici" im Club in Heilgenhaus arbeite ich gerade am Thema "Physical Theatre". Wir haben eine aufreibende und tolle Premiere mit einem anspruchsvollen Sprechtheaterstück hinter uns gebracht, neue Ensemblemitglieder gewonnen und wollen nun neue Wege ausprobieren. Am Dienstag hatten wir eine ganz berührende Probe. Grundlage waren Gedichte von Ingeborg Bachmann und Rainer Maria Rilke. Die Darsteller*innen suchten Wege, diese Texte zu inszenieren, die Stimmungen zu übertragen, Bilder zu finden für die Worte der beiden Dichter*innen und ihren eigenen Empfindungen dazu.
Für alle war das Neuland. Aber mit welcher Feinfühligkeit und Intensität sich die Erwachsenen dieser neuen Erfahrung öffneten, war einfach wunderbar. 
Der große Yoshi Oida sagte  "Im großen und ganzen gibt es drei Arten von Wissen. (...) Die dritte Art Wissen wird durch intuitives Begreifen erlangt." (Oida "Die Tricks eines Schauspielers" Alexander Verlag, Berlin 2009, S. 42)
Wann haben wir in unserem Alltag schon einmal die Gelegenheit, diese Art von Wissen zu trainieren oder bewusst zu erleben? 
Das Theater öffnet jedem Menschen neue Welten. Auch die eigene, innere Vorstellungswelt wird plötzlich erkennbar, begreifbar und - so man ein Bild auf der Bühne findet- für andere darstellbar. Das ist eine Besonderheit des Theater Machens, das jenseits von Pointen setzen und Drama funktioniert. Und ich freue mich immer über die strahlenden Menschen, die als Darsteller*innen in die Probe gehen und als Entdecker*innen in ihren Alltag zurück kehren

Donnerstag, 7. Februar 2019

VOM RAUM LERNEN?

Foto: Kevin Rumpel
Als Theaterpädagogin mache ich nicht nur Theater, ich vermittle auch Theater und lehre Fähigkeiten, selbst Theater zu machen.
Ich nenne meinen Unterricht bewusst nicht Schauspielunterricht. Theater lernen ist viel mehr als eine Rolle zu spielen und auf der Bühne zu verkörpern.
Theater zu lehren, heißt sehen zu lehren und hören- auf sich, auf andere, auf die Gesellschaft, auf Literatur und Musik. Sehen lernen bedeutet, den eigenen Lebensraum wahrzunehmen. Aber auch die Verdichtung einer Situation, die in einem Raum deutlicher wird, um ein Thema auf die Bühne zu bringen, gehört zum Sehen lernen. 
Uns Theaterpädagog*innen wird oft geraten, mit ein ansprechenden Material zu arbeiten, das zum Spielen anregt. Das kann man sicherlich tun. Für Amateurschauspieler*innen ist das eine schöne Sache. Aber zu verstehen, was ein Bühnenraum bedeutet, geht weiter über das Spielerische hinaus. Leider sind in Zeiten knapper Kassen solche Gedanken nicht gern gesehen. Denn wenn ich mit meinen Darsteller*innen über den Bühnenraum rede, rege ich erst mal zur Offenheit an. Alle Ideen, Bilder, Gedanken müssen erst mal erlaubt sein. So fangen meine Schüler*innen im Laufe der Zeit an, die Welt mit neuen Augen zu sehen. Sie gehen mit offenen Augen durch ihre Stadt, schauen sich Theaterstücke, Kunstwerke, Filme an. Alles dient auf einmal zu Inspiration. Und so entsteht ein Verständnis dafür, was ein Raum mit uns macht. Was macht zum Beispiel die erzwungene Nähe in einem winzigen Klassenraum mit den viel zu vielen Schüler*innen? Was macht ein kahler Raum mit einem, der sich nach Schönheit sehnt? Dann fangen wir an, am Bühnenbild zu arbeiten. Und ja, dann kommt das Budget ins Spiel. Aber selbst das kann man dann noch in den kreativen Prozess einbauen. 
Wir haben letztes Jahr an einem Stück über das Glück gearbeitet. Die beteiligten Jugendlichen kamen relativ schnell darauf, auf einem Berg aus Dingen zu spielen - als Sinnbild für die Glückssuche in einer kapitalistischen Welt des Anhäufens und Wegwerfens. So war es nur logisch, das benachbarte Gebrauchtwarenhaus zu fragen, ob wir nicht gleich dort spielen können und den Berg aus Dingen anhäufen können. Es hatte geklappt und wurde begeistert aufgenommen. 
Oft werde ich von Laien gefragt, warum man nicht einfach alles an eine Leinwand projiziert, wo wir doch heutzutage alle relativ leicht über solch technischen Hilfsmittel verfügen können. Aber die sinnliche, spielerische Erfahrung des Raumes ist für Akteure wie Zuschauer*innen von großer Bedeutung und Kraft. Wir sind eben nicht beim Film. Uns gibt es wirklich, live, zum Anfassen nahe, genauso wie den Raum. 
Und auch bei den Stücken, bei denen ich selbst, meist aus Zeitmangel, das Bühnenbild setze, lernen meine Akteure ein neues Sehen und Spüren. Ein gestalteter Bühnenraum bricht mit Sehgewohnheiten und löst etwas aus. Im besten Falle auch neue Spielimpulse. Daher ist es so wichtig, bei steigendem, finanziellen Druck, die Magie des Raumes niemals aus den Augen zu verlieren.