Montag, 25. März 2019

UND? WIE WIRST DU ES TUN?

Fotomontage: Klaudia Anosike für "undendlich Reisen" 2010
Es ist mal wieder soweit - es Zeit für Projektanträge. Es ist schön, dass der Staat sich überlegt hat, dass auch freiberuflich arbeitende Menschen und kleine Vereine oder Institutionen gute Ideen für Kultur und Bildung haben. Es ist schön, dass über Projektgelder ganz neue Ideen und Gedanken eine Chance haben, lebendige Kulturarbeit zu werden. Man kann sicherlich darüber streiten, warum bewährte Arbeit, Erfahrungen und so weiter nicht so gefördert werden wie Innovationen, aber immerhin haben wir eine Arbeitsgrundlage.
Was mir allerdings immer wieder begegnet: eine Idee und viel Berufserfahrung reichen oft nicht. "Und wie genau soll das Konzept umgesetzt werden?" "Und wie soll erreicht werden,  dass die Kinder und Jugendlichen am Ende genau das denken, was der Geldgeber oder der Kooperationspartner sich aufgrund des Konzepts erhofft?"
Dabei wird außer Acht gelassen, dass die kulturelle Arbeit nicht nur Kreativität voraussetzt, sondern auch fördern soll. Und wie soll das geschehen, wenn ich den Weg und das Ziel vorgebe? Das wäre, wie den Sternenhimmel erforschen zu wollen, aber schon vorher festlegt zu haben, wie die Galaxien auszusehen haben.
Natürlich brauche ich Methoden für meine "Forschung". Das liegt ja auf der Hand. Ein Teleskop ist ja auch hilfreich bei der Erforschung des Alls. Doch ab einem bestimmten Zeitpunkt muss ich mich frei machen von meinen Vorstellungen, um den Blick für das Andere zu haben. Und wenn ich das entdeckt habe, werde ich tatsächlich ganz neue Wege finden müssen, um daraus eine Geschichte zu schreiben oder auch nur einen Schritt weiter gehen zu können. In Jules Vernes "Reise zum Mond" laufen alle Astronauten mit Frack und Zylinder herum. Er konnte sich nicht vorstellen, dass die Mode der damaligen Zeit für den Mond gänzlich unpassend sein könnte.
Also, was soll ich meinen Auftraggebern sagen, wenn ich mit meinen kleinen "Forschern" die Welt neu entdecken will, wie ich es mache?! Will ich meine Arbeit ernst nehmen, muss ich antworten: "ich weiß es noch nicht. Aber ich halte stets die Augen auf, um keinen einzigen Weg zu übersehen."


Mittwoch, 6. März 2019

WEISST DU NOCH?!


Foto: Theater Toll-Wut e.V.
Merkwürdig, wie manchmal Themen sich durch eine Zeit ziehen. Kennen Sie das auch? Auf einmal poppen in ganz unterschiedlichen Gruppen ähnliche Themen auf. Im Moment scheint sich alles um das Erinnern zu drehen. Sogar während ich das jetzt hier schreibe, beschert mir der Zufallsgenerator eines Musikstreamingdienstes "ne me quites pas" - "Verlass mich nicht und was war vergiss. Wenn Du kannst, vergiss" vom großen Jaques Brel, gesungen von der wunderbar heutigen Sophie Hunger.


Vergessen! Sich erinnern!


Meine Produktionsleitung des jungen börsenensembles aus Wuppertal hat mir kürzlich das Archiv übertragen und da fängt man an zu stöbern. Eine Kollegin kramt die alten Musical-CDs der Musik- und Kunstschule, Velbert heraus und fährt damit laut klingend, beseelt durch unsere Stadt. Für eine Videoprojektion im neuen Theaterstück "Krieger und Kaiser" muss ich alte Kontakte durchforsten, frühere Kolleg*innen, ehemalige Schüler*innen, die inzwischen Kolleg*innen sind.
Foto: Drama Hilinci (Probe)
Vergessen! Sich erinnern!
Und gestern... Da saßen wir zusammen, das Ensemble Drama Hilinci aus Heiligenhaus und ich, und dachten über die Zukunft nach. Was wollen wir spielen? Was sollen wir auf die Bühne bringen?! An was sollen sich die Leute später noch erinnern?! Ja, und da kommt das Thema auf: "Erinnerungen". An was erinnert man sich?! Warum wählt das Gedächtnis ausgerechnet diese Situation aus, die im Gedächtnis bleibt? Warum werden manche Situationen gelöscht, so dass zwei Menschen die selbe Situation ganz unterschiedlich im Kopf behalten können?
Vergessen! Sich erinnern!
Spannender Stoff für das Theater, das doch eine ganz und gar flüchtige Kunst ist. Nur der Tanz ist noch schneller im Dunst des Vergessens verschwunden. 
Und wenn ich an meine früheren Produktionen denke... Was bleibt da? 
Als Theaterpädagogin erschafft man ja nicht nur Erlebnisse, die im Gedächtnis der Zuschauer*innen bleiben. Die Akteure auf der Bühne erfahren ein Theaterprojekt nochmal ganz anders. Für manche bleibt ein Stück als Abenteuer hängen, für manche als entscheidender Entwicklungsschritt, so mancher wird aber auch das Ganze als Event unter Vielen abhaken: "Wann war noch mal das mit dem Musical? - ja, das war cool. Wie hieß das noch?" 
Eine Zuschauerin hat mal an den Regisseur und Intendanten Roberto Ciulli (Theater an der Ruhr, Mülheim) geschrieben, sie hätte nach dem Besuch eines seiner Theaterstücke ihr Leben geändert. Sie wird dieses Stück sicher nie vergessen. 
Aber sicher ist so ein Erlebnis die Ausnahme, oder?! Gerne würde ich wissen, was meine früheren Schüler*innen noch von den Stücken wissen. Zu gerne würde ich erfahren, ob sich irgendjemand der Zuschauer*innen noch an eines meiner Stücke erinnert. Und wenn ja, an was? Was wird vergessen? An was wird sich erinnert? 
Und ist das alles wirklich wichtig? Ich meine, Theater lebt für den Moment. Theaterpädagogik wirkt, aber wie genau, werden wir bestimmt nicht erfahren. Denn ein Projekt ist immer eingebettet in den Fluss der Zeit, der den Alltag, die Abenteuer, die Träume und Wünsche aller mit sich führt. Und so ist jedes Stück ein Tropfen im Ozean der Hoffnung... so dass manches vergessen wird... so dass manches in Erinnerung bleibt.